Last Updated: 22. Juni 2023Schlagwörter:

Für So viel Meer unterwegs war

Auf Ferieninseln fliegt man oder fährt mit dem Schiff. Vor allem, wenn sie breiten Sandstrand und viel Sonne versprechen. Aber wie wäre es, zu Fuß anzureisen? Auf dem Meeresgrund zur Insel rüberlaufen, das ist nur an der Nordsee möglich, und zwar nach Baltrum. Klimafreundlich und weltweit einmalig.

Reise-Bloggerin Andrea Lammert von „indigoblau“ hat die Wattwanderung zur Insel unternommen.

Los geht‘s in Neßmersiel: Hinter dem Deich ist die Natur eine Beobachtung wert – zum Beispiel von diesem Turm aus.

Manchmal sollte man sich Zeit für die Anreise nehmen. Klar, man könnte auch hinfliegen, so schnell, dass der Flieger kaum in der Luft ist und dann schon wieder landet. Viel abenteuerlicher und entspannender ist es, sich zu Fuß aufzumachen auf die Insel. Also auf nach Baltrum – mit einer Wattwanderung. Gestartet wird im Hafen Neßmersiel. Dort wartet allerdings schon die erste Überraschung, nämlich bei der Anreise zum Hafen. Während die ostfriesische Landschaft von sattgrünen Weiden und Feldern bestimmt ist, die sich wie ein Flickenteppich in das Panorama legen, wird hinter dem Deich plötzlich alles anders. Die kultivierte Landschaft wandelt sich in Weiden, auf denen Pferde ins Morgenlicht blinzeln, so schön, dass man gar nicht den Blick abwenden möchte. Doch es hilft nichts, Bianca wartet. Bianca Brüggemann ist Wattführerin und bietet an diesem Morgen eine Tour nach Baltrum an. So wie man es eigentlich am liebsten auf eine Insel bucht – one way, ohne Rückfahrt. Doch wie das beim Träumen so ist, man wird schnell wieder auf den Boden der Tatsachen geholt, denn natürlich gibt es eine Rückfahrt von Baltrum mit der Fähre. Doch das ist noch lange hin, lieber nicht dran denken und den Moment genießen.

Niemals allein ins Watt

Während die anderen Baltrum-Reisenden am Hafen auf die Fähre warten, macht sich unsere Truppe auf den Weg zum Deich. Wer ins Watt will, kann nicht immer den geraden und schnellsten Weg nehmen, das ist Regel Nummer zwei. Regel Nummer eins ist sowieso klar, oder? „Niemals, aber auch niemals allein ins Watt gehen. Das ist viel zu gefährlich“, erinnert Bianca gleich zu Anfang ihre Teilnehmer. Warum? „Nicht überall ist der Boden unter den Füßen stabil, es gibt viele Stellen, an denen es derart schlickig ist, dass man einsinkt und stecken bleibt“, erklärt Bianca. „Wenn dann die Flut kommt, ist das kein Spaß. Das ist lebensgefährlich.“ Tatsächlich ist das auch schon in den nahen Salzwiesen passiert, auch dort wabert der Boden an einigen Stellen wie Wackelpudding unter den Fußsohlen. „Man sollte genau wissen, wo man langgehen kann“, sagt Bianca und führt ihre Gruppe vom Hafen gen Sperrwerk. Hinter dem Hafen rauscht das Wasser in ein Ausgleichsbecken. Was zur Regulation für die Tidestände gedacht ist, hat sich längst zum Vogelparadies entwickelt: Lachmöwen und Austernfischer drehen dort ihre Runden. Die Luft ist erfüllt von Gezwitscher und Geschnatter. Ein Vogelbeobachtungsturm erfreut das Herz der Birdwatcher, doch das müssen wir uns für die Rückreise merken, jetzt geht es erst mal weiter gen Salzwiese. Unser Wanderweg ist nicht ausgeschildert. Allein Bianca hat die Wanderkarte – in ihrem Kopf.

Zauberhafte Salzwiesen

In der Salzwiese, dieser Zwischenzone zwischen Nordsee und Festland, bleibt sie kurz stehen und lässt ihre Wandergäste innehalten. Es ist eine besondere Vegetation, die sich dort angesiedelt hat, denn die Pflanzen müssen salzresistent sein. Vor allem der Queller wächst hier, diese fleischige Pflanze, deren Blätter aussehen wie kleine Perlen. Er schmeckt salzig und wird in der modernen Küche gerne in Salaten verwendet. Der dunkelgraue Boden, die knallgrünen Pflanzen darauf – das ist schon ein ganz besonderer Anblick. Doch fürs In-die-Gegend-Schauen oder Queller-Naschen bleibt nur wenig Zeit, denn wir müssen Strecke machen. Die Wattwanderung ist nicht ohne und gehört zu den anspruchsvolleren. Immerhin drei Stunden dauert sie und das, so verrät Bianca gleich, wird nicht nur auf hartem Boden sein, sondern wir werden auch Priele durchqueren. Dabei ist es auch immer ein Wettlauf mit der Zeit, denn eines ist sicher: Das Wasser der Nordsee kommt bestimmt zurück und dann sollten wir längst auf Baltrum sein.

Ostfriesische Weite: Auf den Weiden blinzeln Pferde ins Morgenlicht. Vom Sielhafen aus kann man die Insel schon sehen.

Das richtige Schuhwerk

Während einige Wanderer ihre Füße in Sneaker gesteckt haben, sind andere professioneller ausgestattet und tragen Wattsocken oder Kanu-Badeschuhe. Sogar die Hunde, die mitgehen, haben Schühchen an. „Das macht Sinn“, verteidigt eine Hundebesitzerin diese Maßnahme, „die herumliegenden Muscheln können ganz schön scharf sein und die Pfoten verletzen.“

Baltrum, die kleinste der Ostfriesischen Inseln, ist immer in Sichtweite. Eigentlich könnte man jetzt geradeaus gehen und man wäre in einer Stunde dort, so scheint es. Wattführerin Bianca schüttelt den Kopf: „Nein, wir müssen leider einen großen Bogen schlagen, um immer festen Boden unter den Füßen zu haben.“

Los geht es also auf dem grauen Meeresgrund. Kaum haben wir das Festland verlassen, breitet das Watt seinen Zauber aus. Es ist so unfassbar still. Kein Motorenbrummen, keine Zivilisationsgeräusche, nur Möwen krächzen zwischendurch in die Szenerie. Der Himmel scheint weiter als anderswo zu sein, viel größer und wolkenlos blau. Wir haben Glück mit dem Wetter. Das tiefe Blau des Himmels spiegelt sich in den kleinen Pfützen im Watt und die Sonne lässt sie glitzern wie ein Mosaik. Es steht jetzt schon fest, dass es die schönste Inselanreise der Welt ist. Es schmatzt unter den Sohlen, grauer Schlick mit feinem Sand spritzt bis an die Waden. „Das Watt ist jeden Tag anders“, verrät Bianca. „Mal sind die Priele nur ein wenig gefüllt, mal reicht das Wasser dort bis zur Hüfte.“

Angekommen:

Die einen mit der Fähre, die anderen zu Fuß.

Muscheln und Krabben

Der erste Priel gleicht mehr einem kleinen Bach und bleibt harmlos. Dort findet Bianca auch etwas, das sie uns zeigen muss: Kleine Krabben fischt sie mit dem Kescher aus dem Wasser und legt sie sich auf die Hand. Diese grauen Tiere würden die meisten Nordseebesucher so gar nicht erkennen, sondern erst, wenn sie rosarot im Fischbrötchen liegen: Nordseekrabben. Zwischendurch gräbt Bianca mit ihrem Klappspaten eine Muschel aus und erklärt, wie wichtig diese Lebewesen sind, weil sie das Wasser filtern und Schweb- und Schmutzstoffe einfach aus dem Wasser saugen. Baltrums Silhouette zeigt sich noch immer weit in der Ferne, obwohl wir nun schon eine Stunde im Watt unterwegs sind.

Das Wasser steigt merklich an, die Nordsee kommt zurück. Der Bogen, den die Wandergruppe geschlagen hat, führt nun auf die Insel zu. Mit dem steigenden Wasser wird auch das Watt wabbeliger unter den Sohlen, das Gehen wird anstrengend. Doch die Landschaft wird schöner, denn nun glitzert das Wasser überall, es blinkt und strahlt und die kleinen Pfützen sind oftmals ganz blau durch die Spiegelung des Himmels. Zum Bewundern bleibt jetzt keine Zeit, denn es gibt eine kleine Herausforderung. Der nächste Priel ist heute zum reißenden Strom geworden und es heißt: Rucksäcke hochnehmen und sich voll konzentrieren. Das Wasser ist hüfthoch und wunderbar warm, eine herrliche Erfrischung auf der Tour. Bianca steht parat, um Familien mit Kindern zu helfen, am Ende aber schaffen es alle gut, den Priel zu durchqueren. Der Boden unter den Füßen wird fester. Die Insel wird spürbar.

Wie auf einer Altherrenglatze zeigen sich zunächst einige Büschel von Gras und Queller, dann immer mehr und schließlich stehen wir inmitten einer Wiese. Wer einmal einen Gipfel erklommen hat, weiß, welch erhabenes Gefühl das ist. Und ähnlich ist es tatsächlich, über den Meeresboden auf eine Insel zu laufen. Man muss nicht immer in die Alpen reisen, um Wanderglück zu erfahren. Eigentlich müsste es hier ein „Inselbuch“ geben. Spiekeroog hat ja ein Gipfelbuch, warum hat Baltrum keines für die Eroberer, die sich zu Fuß dorthin aufmachen?

Zarte Blüten und Fußwaschanlage

Lilafarbene Strandastern blühen und ziehen einen zarten Blütenteppich über die Landschaft. Der Weg auf der Insel ist erstaunlich lang, es geht vorbei an Wiesen, bis schließlich die kleine Promenade in Sichtweite kommt. Während Fährgäste dort auf einen Eiskaffee warten, hat die kleine Wattwandertruppe zunächst einmal ein anderes Ziel: die Fußwaschanlage. Ja, so was gibt es, auch auf Baltrum. Denn der Schlick mit seinem feinen Sand hat sich inzwischen überallhin abgesetzt, in die Kniekehlen, die Waden hoch und manche tragen die feinen Spritzer sogar im Gesicht. Hartnäckig ist das Zeug, aber mit Beharrlichkeit lässt es sich abwaschen. Jetzt heißt es: Ab an den Strand, vielleicht mit einem Fischbrötchen oder einem Milchkaffee, und dort einfach nur das Wellenkino genießen. Bis die nächste Fähre uns zurück ans Festland trägt. Doch das hat noch Zeit.

Traumhafter Inselstrand

Damit kann auch das kleine Baltrum aufwarten.

Auf dem Rückweg mit der Fähre zeigen sich noch die Seehunde vor Norderney.

Tipps

Ausrüstung:

Zur Wattwanderung sollte man passendes Schuhwerk mitnehmen (alte Turnschuhe, Wattsocken oder Badeschuhe), Hunde tragen am besten Pfotenschutz.
Sonnenschutz gehört ebenso in die Ausrüstung wie Trinkwasser. Ganz wichtig sind Handtücher – eins für die Füße und eins für den Badestrand.

Wattwanderungen sind buchbar unter wattwanderung-wattenmeer.de
oder im Wattwanderzentrum wattwanderzentrum-ostfriesland.de

Nordseekrabben, Muscheln und Austern:

Wattführerin Bianca Brüggemann erklärt das Watt und seine Bewohner.

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