Last Updated: 29. Juli 2023Schlagwörter: ,

Für So viel Meer unterwegs war

Das Licht! Der Himmel! Die Farben! Immer wieder kamen Künstler nach Dangast, in dem Seebad am Jadebusen fanden sie Inspiration – und hinterließen ihre Spuren. „Romane und Reisen“-Bloggerin Kirsten Rick auf einem Spaziergang voller Entdeckungen.

Wie oft wurde Dangast wohl schon gemalt? Hunderte Male bestimmt, vielleicht auch Tausende, genau weiß man es nicht. Das Licht ist hier so speziell, der Himmel wirkt interessanter als anderswo, die Wolken bauschiger.

Künstler haben den Ort früh für sich entdeckt. Einige kamen immer wieder, einer blieb. Und sie ließen manches zurück, was dem Ort heute gut steht.

Dangast ist eben besonders. Das älteste Nordseebad der deutschen Festlandküste wurde 1804 gegründet, von einem Grafen, der seiner Frau etwas Gutes tun wollte. So entstand ein Seebad nach englischem Vorbild. Und das in einzigartiger Lage: Dangast, das südliche Eingangstor zum Weltnaturerbe Wattenmeer, liegt auf einem Geestrücken. Deshalb gibt es hier keinen Deich, nur eine Mauer an der hohen Geestkante, Steindeich genannt. Ein kleiner Wald reicht fast bis zum Wasser. Oder zum Watt, je nach Stand der Gezeiten.

Probe sitzen auf Butjathas Thron. Bloggerin Kirsten Rick hat in Dangast allerlei Kunst am Strand entdeckt.

Hoch oben auf dem Geestrücken steht, backsteinrot und von Efeu berankt im Schatten großer Bäume, das alte Kurhaus Dangast. Um 1800 wurde es als Conversationshaus erbaut, seit 1884 ist es ein Familienbetrieb. Maren Tapken führt das Kurhaus in fünfter Generation. Wir sitzen im großen Saal, der reich bestückt ist mit Kunstwerken aller Art. Maren Tapken erklärt, warum Dangast so fasziniert:

„Was diesen Ort ausmacht: Kunst und Natur. Dangast liegt an einem Meeresbusen, in dem das Wasser manchmal komplett weg ist. Das Zusammenspiel von Licht, Wasser und Wetter eröffnet immer wieder neue Sichtweisen auf die Natur. Das ist inspirierend für Künstler und auch für Einheimische immer wieder spannend.“

Das Kurhaus pflegte stets eine weltoffene, tolerante Atmosphäre. So sagte schon Urgroßmutter Tapken immer: „Seid nett zu den Künstlern, wer weiß, was aus ihnen mal wird.“

Drei wichtige Strömungen der deutschen Kunstgeschichte wurden hier mitgeprägt“, sagt Maren Tapken, die Kulturpädagogik mit Schwerpunkt Kunst studiert hat. Sie zählt auf: der Expressionismus der Brücke-Künstler seit 1907, die Freie Akademie der Beuys-Schüler in den 1970er-Jahren und dazwischen Franz Radziwill.

Auf dem Kunstpfad

Strand mit vielen Facetten. Hier beginnt der Kunstpfad, auf dem man anhand von Bildtafeln vieles über jene Künstler erfährt, die sich vom Dangast-Flair haben inspirieren lassen.

Ein paar Meter weiter beflügeln Sand, Wasser und Piratenschiff die kindliche Phantasie.

Vor dem Kurhaus beginnt der Kunstpfad, den will Gästeführer Karl-Heinz Martinß mir zeigen. 20 Bildtafeln bieten Einblicke in die künstlerische Vergangenheit. Wir stehen vor einer Tafel, auf der ein Werk von Karl Schmidt-Rottluff zu sehen ist, „Gutshof in Dangast“ lautet der Titel. „In Dangast gab es gar keinen Gutshof, das Bild zeigt das Kurhaus“, erklärt Martinß.

Die Expressionisten der Künstlergruppe Brücke entdeckten Dangast 1907 und kamen mehrere Sommer hintereinander. Doch wie kamen Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Max Pechstein auf Dangast? Da gibt es verschiedene Theorien: Sie hatten Kontakt zum Oldenburger Kunstverein. Sie sahen in den Zeitungen Werbung für Dangast. Es gab eine durchgehende Zugverbindung von Dresden bis Wilhelmshaven, in Dangastermoor, zwei Stationen vor Wilhelmshaven, sind sie ausgestiegen. Und dann verrät Herr Martinß noch eine weitere Theorie: Die Künstler haben eine Karte von Norddeutschland ausgebreitet, einem die Augen verbunden und der hat einfach mit dem Finger darauf gezeigt.

„Es ist unglaublich, wie stark man die Farben hier findet, eine Intensität wie sie kein Pigment hat, fast zu scharf für das Auge“, schrieb Karl Schmidt-Rottluff 1909. Das Rot der Ziegeldächer und der Backsteine. Das Blau des Himmels. Das Grün der Wiesen und Weiden. Das Schwarz-Weiß der Kühe darauf. Das sind die Farben, die in den Bildern der Expressionisten wichtig sind.

Die Brücke-Künstler mussten vom Malen leben. „Einmal wollten sie ein Bild von einem Bauernhaus gegen Eier tauschen“, erzählt Martinß. „Doch als der Bauer das Bild sah, wollte er es nicht. Er sagte: Wer mein Haus so malt, der bekommt von mir nichts! Und jagte die Künstler vom Hof.“ Er hat nicht auf Urgroßmutter Tapken gehört, das Bild wäre heute sehr wertvoll.

So hatten nicht alle Erfolg. Wir stehen vor einer weiteren Tafel, ein Bild von Trude Rosner-Kasowski. Die Malerin war eine eigenwillige Außenseiterin, die beim Spaziergang eine Gans an der Leine führte. Bemalt hat sie die Rückseiten von Tapetenmustern. „Einmal kam ein Käufer, der wollte ein Bild abholen. Sie forderte 50 Mark. Abgemacht waren 40, sagte der Käufer. Sie nahm eine Schere, schnitt ein Stück des Bildes ab und sagte: So, jetzt ist es 40 DM wert“, erzählt Martinß. Trude Rosner-Kasowski starb 1970 in ärmlichen Verhältnissen.

Im Franz-Radziwill-Haus

Sein Wohnhaus avancierte zur Pilgerstätte für Kunstliebhaber.

Künstler Franz Radziwill hat bis heute große Bedeutung für den Kur- und Kultort Dangast.

1920 lernte Franz Radziwill Dangast kennen, den Tipp bekam er von Karl Schmidt-Rottluff. Radziwill kaufte eine kleine Fischerkate, die er, der gelernte Maurer, erweiterte. Einen Atelierturm baute er an, für die Küchenwände sammelte er friesische Kacheln, auch die Möbel entwarf und bemalte er selbst. Sechzig Jahre, bis zu seinem Lebensende, hat er hier gewohnt und gearbeitet. Sein Haus ist heute ein Museum, eines von weltweit wenigen Malerhäusern, die im Originalzustand erhalten sind. Eine gemauerte Biografie.

Auch Radziwill wurde zunächst etwas schief angesehen, sagt Martinß. „Das war ja brotlose Kunst. Er wurde im Ort aber respektiert, weil er sich für die Natur eingesetzt hat, als Vogelschutzwart. Die Bilder fanden die Dangaster aber komisch. Heute ärgert sich mancher, dass er damals nichts gekauft hat.“ Eine Zahnarztrechnung soll Radziwill mal mit einem Bild beglichen haben.

Mit dem Fahrrad, einem Fernglas und einer Trillerpfeife fuhr der Künstler herum. Wer Müll liegen ließ, wurde angepfiffen. Liebespaare vertrieb er aus dem Schilf, sie sollten die Vögel nicht stören. Berühmt wurde er für seine Landschaften mit riesigen Schiffen, bedrohlichen Flugzeugen oder beeindruckenden Lichtphänomenen. Die aktuelle Ausstellung „Familie. Freunde. Fremde.“ Im Radziwill-Haus zeigt Porträts, das sind eher ungewöhnliche Motive für den Maler. „Nasen konnte er nicht so gut“, murmelt eine Frau, die die Ausstellung besucht.

Am Strand des Kurhauses

In den 1970er-Jahren fielen die Bildhauer in Dangast ein. Die Mitglieder der „Freien Akademie Oldenburg“ veranstalteten Happenings vor dem alten Kurhaus, am Privatstrand der Familie Tapken. Der Strand ist für alle Besucher offen, kostet keine Kurtaxe.

Hier stehen Kunstwerke. Die Jade, eine nackte Dame in Grün, hat der Beuys-Schüler Anatol Herzfeld ins Watt gestellt. Sie wacht über den Jadebusen und begrüßt die Boote. Auf einem Holzthron, dem Kaiserstuhl von Butjatha, fühle ich mich majestätisch.

Aufsehen erregte der 3,20 Meter hohe Phallus aus Granit, den der Bildhauer Eckart Grenzer 1984 an die Grenze von Watt und Strand postierte. „Begegnungen der Geschlechter“ heißt das Werk und stellt das Männliche dar, das vom weiblichen Meer umschlungen wird. „Riesen-Penis im Watt – Kunst?“ lautete noch eine der vorsichtigen Schlagzeilen. Inzwischen regt sich niemand mehr auf. Der Phallus wurde akzeptiert. Eine Frauengruppe hat ihm im Winter ein Mützchen gestrickt, zum Welt-Aids-Tag bekommt er eine rote Schleife.

Für den Sommer ist am Strand unterhalb des Kurhauses wieder das „Watt En Schlick“-Fest geplant. Mit einem wunderbar vielfältigen Programm aus Musik, Literatur, Theater, Film und Kunst vom 29. bis zum 31. Juli Eine neue Adaption der alten Happenings.

Bis dahin ist noch etwas Zeit zum Teetrinken. Und für den fantastischen Rhabarberkuchen, für den das Kurhaus berühmt ist. Das Rezept wird gut gehütet, der Kuchen ist so gefragt, der wird mehrmals am Tag gebacken. So kommt er immer frisch aus dem Ofen und warm auf den Tisch. Auch ein Kunstwerk!

Hafenidyll im Künstlerdorf am Jadebusen.

Vom Meer umschlungen ist hier auch das steinerne Kunstwerk Phallus

Kunstgenuss in Dangast

Kurhaus Dangast

Legendärer Rhabarberkuchen 2,50 €
großer Saal mit Kunst
Fr. bis So. und feiertags 9–19 Uhr www.kurhausdangast.de

Führungen auf dem Dangaster Kunstpfad

1,5 Stunden für 8 €
Treffpunkt Kurhaus Dangast
Termine unter www.dangast.de

Kreativ werden

Die Akademie Dangast bietet verschiedene Kunst-Workshops an, zum Beispiel Aquarelltechniken, Landschaft zeichnen oder Digital malen und zeichnen.

Termine unter
www.dangast.de

Sonnenuntergang am Kurhaus Dangast. Hier ist man direkt am Meer und kann an klaren Tagen bis nach Wilhelmshaven schauen.

Der Privatstrand direkt unter der Kurhaus-Promenade ist ein Ort für alle. Zum Feiern, Chillen, aufs Meer gucken und zum Kunst machen und genießen.

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